Kölner Stadtanzeiger vom 10.08.2017 – “Die Nachbarschaft muss zusammenwachsen!”

Uli und Silke Kievernagel leben gern in Raderberg. (Foto: Philipp Haaser)

Kater Henry ist Besuch gewohnt. Wenn die Nachbarskinder in den Garten von Uli und Silke Kievernagel stürmen, hebt er den Kopf und harrt aus. Er weiß schließlich, dass er gleich von ihnen gefüttert wird. Er bekommt Leckerli, die Kinder Apfelschorle. Die Eigentumswohnung der Kievernagels liegt im Erdgeschoss eines ansehnlichen Neubaus an der Raderberger Straße.

Mehrere ehemalige Gewerbegrundstücke sind bereits mit Wohnhäusern bebaut, an der Raderberger Straße und am Gürtel, weitere, wie auf dem früheren Areal der Deutschen Welle, folgen. Die meisten Neubauten sind Architektonisch ansprechend, beherbergen größtenteils Eigentumswohnungen zu üppigen Preisen.

Der Stadtteil verändert sich, nicht nur äußerlich. 6246 Menschen leben in Raderberg (Stand Ende 2016). Knapp die Hälfte lebt erst seit maximal fünf Jahren hier. Die Kievernagels gehören zu den neu Zugezogenen und beobachten die Veränderung im Stadtteil selbst kritisch. Im Gespräch mit dem “Kölner Stadt-Anzeiger” schildern die beiden, wie sie sich ein Miteinander vorstellen, und was sie dafür zu tun bereit sind.

Welchen Eindruck hatten Sie von Raderberg, bevor Sie hergezogen sind?

ULI KIEVERNAGEL: Wir haben bis 2012 in Zollstock gewohnt. Um Raderberg hat man lange einen Bogen gemacht. Besonders die Rheinsteinstraße und die Sozialwohnungen an der Bonner Straße waren verschrien.

Das hat sich geändert.

ULI KIEVERNAGEL: Ja. Hier sind wahnsinnig viele Menschen neu hergezogen und damit kommt auch ein anderes Milieu. Viele von ihnen verdienen sicher überdurchschnittlich. Und doch: Was gerade hier in Raderberg passiert, ist keine klassische Gentrifizierung. Es gibt ja keine Verdrängung durch Luxussanierungen, sondern zusätzliche – allerdings hochwertige – Wohnungen.

Das kann ja noch kommen.

ULI KIEVERNAGEL: Das befürchte ich auch. Bei Quadratmeterpreisen von mehr als 4500 Euro für die neuen Wohnungen sind wir vielleicht auch schon mittendrin. Und aufhalten kann man das sicher nicht, aber gestalten.

Sie wollen das “alte” Raderberg erhalten?

ULI KIEVERNAGEL: Ja. Das ist ein gewachsenes Viertel, in dem die Neubauten stehen. Das ist etwas anderes als die Quartiere, die komplett neu entstanden sind und eher wie aus der Retorte wirken. Ich habe immer die Typen vor Augen: Paul, der bodenständige Maler, Nobbi, mein Nachbar von gegenüber, der schon ewig in Raderberg lebt, Tim, der Familienvater aus unserer Neubausiedlung. Und demnächst kommt noch Yussuf, der Flüchtling aus Afghanistan dazu. (In der Raderberger Straße entsteht ein Wohnhaus für Flüchtlinge. Anm. d. Red.) Diese Nachbarschaft muss zusammenwachsen.

Wie wollen Sie das erreichen?

ULI KIEVERNAGEL: Wir wollen Berührungspunkte schaffen. Mit Antonio Dos Santos, dem Wirt der Gaststätte Brauhaus am Kloster, haben wir in den vergangenen Jahren schon einiges auf die Beine gestellt, Tanz in den Mai, Einsingen zu Karneval, ein Besuch des Rodenkirchener Dreigestirns. Zuletzt haben wir im Juli ein Straßenfest gefeiert und dafür “Raderberg Be-Leben”, eine Art Bürgerverein, gegründet.

Und, ergaben sich dadurch Berührungspunkte zwischen Alteingesessenen und Neu-Raderbergern?

ULI KIEVERNAGEL: Zu unseren Aktionen kommen immer viele L

eute. Das Interesse war von Anfang an da. Das erste Mal habe ich das Einsingen 2012 gemacht, damals noch in der inzwischen geschlossenen Kneipe Alt-Raderberg. Dem Wirt sind an dem Abend die Gläser und das Bier ausgegangen. Auch der Tanz in den Mai ist immer gut besucht. Die Rückmeldung, auch jetzt beim Straßenfest, ist immer: “Gut dass ihr das macht.” Ob sich daraus tatsächlich Engagement für die Nachbarschaft ergibt, weiß ich noch nicht.

Welches Engagement der Nachbarn wünschen Sie sich denn?

ULI KIEVERNAGEL: Eines der Kernthemen in den nächsten Monaten wird sicher die Flüchtlingsunterbringung sein. Es gibt Nachbarn, die sich mit einem Brief an die Oberbürgermeisterin gewandt haben, weil sie mehr Informationen haben wollten. Denen muss man die Angst nehmen. Ich finde, wir sollten so früh wie möglich mit der aktiven Gestaltung beginnen und sobald die Flüchtlinge in unserer Straße sind, ein Willkommensfest feiern, Fahrräder, Spielzeug oder Haushaltsausstattung besorgen und eben machen, was dann so ansteht.

Soll aus dem Bürgerverein eine Interessenvertretung der Raderberger werden?

ULI KIEVERNAGEL: So weit sind wir noch nicht. Bislang haben wir nur die für die Gründung nötigen sieben Mitglieder. Ich will ganz offen schauen, wie das weitergeht. Dass Nachbarschaft funktioniert, weiß ich ja. SILKE KIEVERNAGEL: Dafür sorgst du schon. ULRICH KIEVERNAGEL:(lacht) Das stimmt. Brötchen holen kann bei mir schon mal anderthalb Stunden dauern, weil ich hier und da ein Schwätzchen halten muss. Auch im Brauhaus klappt es ganz gut mit der Nachbarschaft. Nach dem zehnten Kölsch mischt es sich tatsächlich. Beim Straßenfest waren die Bewohner aus den Neubauten dann genauso vor Ort

wie die alteingesessenen Raderberger.

Also eher keine Interessenvertretung im politischen Sinne?

ULI KIEVERNAGEL: Nein, mir geht es mehr um die Identifikation mit dem Veedel. Ich kann mir etwa gut einen Rundgang vorstellen, bei dem jeder etwas zu seiner Person erzählt, jemand aus den neuen Lofts, eine der Ordensschwestern aus dem Kloster, der Bauer jenseits des Gürtels, bei dem ich immer einkaufe. Damit man mal sieht, wie die Nachbarn so leben.

Was fehlt Ihnen in Raderberg?

ULI KIEVERNAGEL: Der Verkehr ist sicher ein Problem. Vielleicht kann man ja mal die Gerhard-vom-Rath-Straße in der Mitte sperren, um den Durchgangsverkehr zu verhindern. SILKE KIEVERNAGEL: Wenn die versprochene Bahn auf der Bonner Straße endlich käme, das wäre super. Der Bus steckt regelmäßig im Verkehr fest. Je mehr Leute hier wohnen, desto größer wird der Bedarf.

Gibt es genug Geschäfte?

SILKE KIEVERNAGEL: Nein, aber das ist nicht dramatisch. Ein Drogeriemarkt wäre schön, eine Apotheke und ein Geldautomat. ULRICH KIEVERNAGEL: Eine Weinbar wäre toll. Aber die Südstadt ist ja nicht weit.

Ihr Lieblingsrestaurant in Raderberg?

SILKE KIEVERNAGEL: Für die italienischen Momente im Leben die Trattoria “Bella Mia” auf der Raderberger Straße. ULI KIEVERNAGEL: Das “Brauhaus am Kloster” an der Brühler Straße. Multikulti pur: Kölsches Brauhaus, geführt von einem Portugiesen, der mit einer Sizilianerin verheiratet ist.

Ihr Lieblingsort?

SILKE UND ULI KIEVERNAGEL: Das Büdchen am Kalscheurer Weiher. Das ist zwar nicht mehr Raderberg, aber wir sind mit dem Fahrrad in zehn Minuten da.

Zu den Personen

Ulrich Kievernagel ist 47 Jahre alt. Er arbeitet in der Konzernzentrale der Deutschen Post DHL in Bonn. Silke Kievernagel ist 46 Jahre alt und arbeitet in der öffentlichen Verwaltung. Sie leben in Raderberg. (phh)

– Quelle: http://www.ksta.de/28144564 ©2017

Mit freundlicher Genehmigung von Philipp Haaser.