Die Siedlung Wilhelmsruh – sozialer Wohnungsbau im 19. Jahrhundert

Die Arbeitersiedlung "Wilhelmsruh", Aquarell von Jakob Scheiner aus dem Kölnischen Stadtmuseum

Es war eine echte Zeitenwende – und auch Köln sollte Ende des 19. Jahrhunderts in der modernen Zeit ankommen. Für die stark wachsende Zahl der Kölner Bürger wurde dringend Wohnraum benötigt – immerhin verdoppelte sich zwischen 1880 und 1890 die Einwohnerzahl Kölns von etwa 145.000 Menschen auf 282.000 Menschen.

Die enge, mittelalterlich geprägte Stadt musste also wachsen. Aber wie? Die massive Stadtmauer behinderte die Erweiterung der Stadt. Nach langen Verhandlungen mit der preußischen Regierung begann ab 1881 der Abriss der Befestigungen. Und es entstanden die Vororte und die klassischen Arbeitersiedlungen.

Früher wie heute: Knapper Wohnraum – hohe Preise

Wie sich die Zeiten gleichen: Wie auch heute war damals der Wohnraum in der Stadt knapp. Das betraf insbesondere die Menschen mit großen Familien und wenig Geld. Man lebte – nach heutigem Maßstab – viel zu beengt in völlig überfüllten Wohnungen. Bis zu sechs Personen pro Zimmer war die Normalität. In diesem Zimmer wurde gekocht, gegessen, sich gewaschen und geschlafen. Für uns heute undenkbar.

Der Maler Heinrich Zille hat es dokumentiert: Im 19. Jahrhundert ist es völlig normal dass in einem einzigen Zimmer geschlafen, gegessen und sich gewaschen wird.
Der Maler Heinrich Zille hat es dokumentiert: Im 19. Jahrhundert ist es völlig normal, dass in einem einzigen Zimmer geschlafen, gegessen und sich gewaschen wird, Bild: Stiftung Stadtmuseum Berlin

Dies brachte Unternehmer dazu, für ihre Mitarbeiter besseren und preiswerten Wohnraum zu schaffen. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist die Arbeiter-Kolonie „Wilhelmsruh“ an der Bonner Straße im heutigen Stadtteil Raderberg. Der Name der Siedlung erinnert an den im Jahr des Baubeginns 1888 gestorbenen Kaiser Wilhelm I.

Die Siedlung Wilhelmsruh um ca. 1920, Bild: Klaus Krämer
Die Siedlung Wilhelmsruh um ca. 1920, Bild: Klaus Krämer

Das Kapital für den Bau der Siedlung stammt aus einer Stiftung von Prof. Dr. Gerhard vom Rath, dem Mitinhaber des „Rheinischen Actienvereins für Zuckerfabrication“. Dieses Unternehmen betrieb unter anderem Zuckerfabriken am Holzmarkt und in der Machabäerstraße im Kunibertsviertel. Vom Rath stiftete im Jahr 1888 einen großen Teil seines Vermögens zum Bau einer Arbeiter-Kolonie an der Bonner Straße, da seine Erben bereits verstorben waren. Insgesamt handelte es sich bei der Stiftung um 450.000 Mark. Ein stolzer Betrag. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Jahresverdienst eines Arbeiters lag bei etwa 660 Mark.

Eine schmucke Siedlung - die Wilhelmsruh heute, Bild: Annette Full
Eine schmucke Siedlung – die Wilhelmsruh heute, Bild: Annette Full

Gebaut wurden zweigeschossige Wohnungszeilen. Das gesamte Wohngebiet wurde mit breiten Wegen großzügig aufgeteilt, jedes Wohngebäude hatte zur Selbstversorgung einen Nutzgarten und Stallungen. In den Häusern aus rötlichen und gelben Ziegeln waren Vierzimmerwohnungen. Ursprünglich wurden auch noch eine Badeanstalt, ein Versammlungssaal, ein Lesezimmer und ein Kaufladen geplant, die allerdings nie realisiert wurden.

Der Grundsatz für die Miete der Wohnungen war, dass der Preis einer Wohnung in der Wilhelmsruh in etwa dem Preis einer Zweizimmerwohnung in der Stadt entsprechen sollte. Allerdings für eine Wohnung, die doppelt so groß war und zusätzlich über einen Keller, einen Speicher, den Garten und Stallungen verfügte.

Trotz dieser Annehmlichkeiten und dem fairen Mietpreis taten sich viele Arbeiter schwer damit, ihre geliebten Veedel, allen voran das Severinsviertel, in dem es alles gab, zu verlassen um „draußen auf das Land“ zu ziehen. Der Weg war tatsächlich weit, es gab zunächst auch keine Anbindung an die Straßenbahn. So wurden Pendelverkehre eingerichtet. Ein Arbeiter der Stollweck-Schokoladenfabrik berichtete „Wäge däm wigge Wäg leeten uns die Stollwercks noh der Arbeit fahre, die eeschte Johre met Päd und Wage, dann m´em Laßwage, wo Bänk drop stundte.“

Die Wilhelmsruh, Blick von der Bonner Straße, Bild: Annette Full
Die Wilhelmsruh, Blick von der Bonner Straße, Bild: Annette Full

Gleiche Herausforderungen wie vor 140 Jahren

Die Arbeiter-Kolonie der Wilhelmsruh war ein positives Beispiel für den sozialen Wohnungsbau. Die lockere, großzügige Bauweise beweist, so der Historiker Josef Rosenzweig „ … dass es auch damals anstatt enger und dunkler Mietskasernen schon helle und schmucke Sozialwohnungen gab“.

Und da Köln heute wieder vor der großen Herausforderung steht, erschwinglichen Wohnraum für alle zu schaffen, sollten sich die Verantwortlichen daran mal ein Beispiel nehmen und sich einfach mal die Wilhelmsruh in Raderberg anschauen.


Die letzte Zuckerfabrik des „Rheinischen Actienvereins für Zuckerfabrication“ am Holzmarkt wurde 1912 geschlossen, die Stadt Köln übernahm die Stiftung und auch die Häuser der Wilhelmsruh. Ein Teil der Häuser wurde in den 1980ern zugunsten eines Altenheims abgebrochen, die übrigen Häuser (heute Bonner Straße 304 und 310) wurden saniert.


Dieser Text wurde von der Website des Köln-Lotsen übernommen.

Orte in Raderberg: „Am Dude Jüd“ – Der alte jüdische Friedhof


„Am toten Juden“ (Ausschnitt aus einem Stich
von Friedrich W. Delkeskamp (1794–1872).
Gut zu erkennen ist die Lage des Friedhofs
vor der Stadtmauer.

„Parkstadt Süd“ ist das große Stadtentwicklungsprojekt im Kölner Süden. Bis zu 4.000 Wohnungen, Büros und Ladenlokale sollen im „Inneren Grüngürtel“ zwischen Bayenthal, Raderberg, Zollstock und Sülz entstehen. Teil des Projekts ist auch der Großmarkt. Dieser soll umziehen, das ist schon für das Jahr 2020 geplant. Doch sowohl die Standortfrage als auch der konkrete Umzugstermin sind noch offen. Die Debatte der Beteiligten (Stadt, Händler, Anwohner am potenziellen neuen Standort in Marsdorf) ist im vollen Gange.

Eine ganz andere Herausforderung an die Planer wird allerdings kaum diskutiert: Auf dem heutigen Großmarktgelände liegt der „Judenbüchel“, der alte Friedhof der jüdischen Gemeinde. Die Kölschen nannten dieses Gelände „Dude Jüd“ – der „Tote Jude“. Weiterlesen